Darmstadt, im Mai 1981 (Bernhard Siegmund) – Die industrielle Steuerungs- und Regelungstechnik zeigt sich dem Betrachter in weiten Bereichen wie der Hahn auf dem Mist. Laut gackernd, die Eier legen die Anderen. – Eigentlich wollte ich hier den Auerhahn auf der Balz als Beispiel bringen. Aber wer kennt den noch?
Ein paar Aussagen aus den letzten Wochen: „84 % Umsatzzuwachs bei industriellen Elektronikprodukten im Jahre 1980,“ schreibt National Panasonic GmbH, die deutsche Tochter des japanischen Branchenriesen Matsushita.
Die Japaner haben weitgehend andere verdrängt. Die deutschen Werkzeugmaschinenhersteller hat das wenig berührt.“ Aber wenige Minuten später: „Wir haben eine Studie mit einem Strategietcil in Auftrag gegeben, um daraus dann für wesentliche Teile des Werkzeugmaschinenbaus, die insbesondere von diesem japanischen Exportdrive betroffen sind, Strategie-Anleitungen an Hand zu geben . . .“ so Bernhard Kapp, Vorsitzender des Vereins Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken (VDW), auf der EMO-Pressekonferenz in Frankfurt.
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Um auf dem Weltmarkt bestehen zu können, brauchen wir große Serien,
die wiederum zu Preisen führen, die uns konkurrenzfähig machen,“
meinte Dr. Gerhard Widl, Bosch Industrie-Ausrüstung, auf
einer Pressekonferenz in Erbach. Aus dem selben Hause kommt dann
vom Produktverantwortlichen für den Bereich Antriebstechnik, Alfred
Thierolf zum Thema Ansteuergerätc für Gleichstrom-Antriebe die Aussage:
„Technische Unterschiede zwischen den heute auf dem Markt befindlichen
Geräten gibt es lediglich in einigen Optionen.“ Beides zu-
zusammengenommen wird erst interessant durch die Ankündigung eines
Transistor-Wechselrichter-Systems zum Betrieb von Asynchronmaschinen
zur EMO. AEG macht die Drehstrom-Antriebssteuerung aber
schon seit 1978 in großen Stückzahlen. Über den Leiter dieses Bereichs
können Sie einiges unter „Menschen aus Industrie und Wirtschaft“
in diesem Heft nachlesen.
Die Politik sollte bei dieser Sammlung nicht fehlen: „Ich bin bereit, alles
zu tun, damit die Entwicklungsanstrengungen der Industrie sowohl
für die Herstellung als auch für die Anwendung der Mikroelektronik
zu einem tragbaren Risiko werden!“ Bundesforschungsministcr von
Bülow bei seinem Berlinbesuch am 27. 4. 81.
Zuviel Durcheinander
werden Sie jetzt vermutlich sagen. Womit Sie völlig recht haben. Rund
sechzig Prozent unseres Eingangs an Informations-Material wandern
auf meinen Tisch. Das betrifft dann alles Elektrik/Elektronik und damit
weitgehend auch die Steuerungs- und Regelungstechnik. Die Anbieter
an programmierbaren, mikroprozessorbestückten Steuerungen
würden mit ihren Unterlagen Bücher füllen. Fragen Sie mich aber jetzt
nicht nach den Unterschieden. Ich will nicht alle über einen Kamm
scheren. Aber die Frage drängt sich doch einfach auf: Was will denn
der Herr von Bülow da noch effektiv fördern?
Auf seiner Berliner Wahlkampfreise stand natürlich auch das VDI-Technologiczcntrum
auf dem Programm. Hauff-Duzfreund Friebe, seines
Zeichens einer der Geschätsführer dieses Zentrums, rast nimmermüde
durch die Lande, damit das BMFT-Forschungsgeld unters Volk
kommt. 1978 – so lange läuft das schon – habe ich zur Studie „Anwendung
der Mikroelektronik im Maschinenbau“ geschrieben: Hoffentlich
wird das nicht wieder so ein praxisfremder Melkwettbewerb
beim BMFT, denn von da kommt ja wieder das Geld.
Inzwischen liegt die Studie vor. Viel Papier, 48 Fallbeispiele dargestellt,
davon allein 13 (!) aus Betrieben mit über 1000 Mitarbeitern.
Das Ganze lief unter dem BMFT-Forschungsvorhaben „Verbesserung
der Möglichkeiten und Voraussetzungen zur Elektronikanwendung in
kleinen und mittelständischen Unternehmen“!
Zu den dargestellten Produktinnovationen gehören unter anderen:
- Leitstand für Heizung, Klima, Lüftung, sanitäre und elektrische Anlagen
- Medizinisches Gerät zur dynamischen Messung und Auswertung von Atmungsparametern
- Das bekannte Antiblockiersystem eines Nobelkutschenherstellers
- Textbe- und Verarbeitung
- Kartenleser
- Belegleser
- Sudhaus
- Molkereianlage
Falls Ihnen hier der Bezug zum Maschinenbau sehr, sehr vage vorkommt,
mir auch! Günter Schlieper schleift gerade die Feder, um dies
zusammen mit einigen anderen Papierbergen im Werkzeugheft zu be- und
verarbeiten. Kommen wir deshalb zu den
Programmierbaren Steuerungen
Dazu vorab noch eine Aussage von Dr. Widl auf der Bosch-
Pressekonferenz: „Zur Kommunikation mit den Menschen sind rechnergestützte
Dialogsysteme notwendig. Die Rechner müssen sich dem
Wissen und der Intelligenz vorhandener Mitarbeiter anpassen, nicht
umgekehrt.“ Dies hatte zwar mehr globalen Anstrich und galt nicht allein
für die Steuerungen. Aber dafür doch sicher auch!
Wenn ich mir die Bedienungsfelder unserer NC- und CNC-Maschinen
ansehe, habe ich ganz erhebliche Zweifel daran, daß wir das je erreichen.
Fast jeder Hersteller kocht da seine eigene Suppe, die er im
Brustton der Überzeugung als die einzig richtige und wahre darstellt.
Wie hieß es doch so schön bei den Antreibern: Technische Unterschiede
zwischen den heute auf dem Markt befindlichen Geräten gibt es lediglich
in einigen Optionen. Für die Steuerungsmacher könnte man
noch hinzufügen: Und bei der Bediener(irre)führung. Sowas fängt bei
den englischen Ausdrücken an, die durch Abkürzung noch unverständlicher
werden. Weiter geht es mit sogenannten Klartext-Bedienerführungen,
die im Grunde auch nur eine spezielle Programmiersprache
darstellen. – Ich hab das in Erbach bei der Hausmesse erlebt. Ein
einfacher Schreibfehler im Programm-Namen, Bossch mit zwei S, läßt
die ganze Arbeit im Speicher verschwinden. Da kann man dann lange
suchen.
Ich will aber nicht nur meckern. Bosch hat vor kurzer Zeit ein Programmiergerät
für Element Grafik (PEG) vorgestellt, das sich hervorragend
zur Teileprogrammerstellung im Satzformat für NC-Drehmaschinensteuerungen
eignet. Da kann der Dreher dann wirklich mit
seinen Berufskenntnissen rangehen. Ich finde dies einen sehr vielversprechenden
Anfang.
Mit ein paar Symboltasten für die Geometrie und den Maßzahlen aus der Zeichnung
kriegt der Dreher gleich den richtigen Eindruck von der Programmierung. Das Bosch
PEG-System sollten Sie mal näher auf die Brauchbarkeit in Ihrem Laden untersuchen.
„Programmieren mit Grafikelementen“ © SCOPE-Nr. 13 ((Bild))
Auf der gleichen Linie liegt ein Forschungsprojekt des „Roboter-
Professors“ Nils Martensson an der Universität Linköping in Schweden.
Auch da wird mit einer grafischen Darstellung auf dem Bildschirm
im „technischen Klartext“ gearbeitet. Die wollen 1982 damit
fertig sein. Bis das dann in den Betrieben auftaucht, sind die Boschleute
vielleicht auch schon etwas weiter.
Die japanische Gefahr
wird im Zusammenhang mit der elektronischen Steuerungs- und Regelungstechnik
ziemlich runtergespielt. Beim VDW (den Werkzeugmachern)
sind die Schweizer die großen Konkurrenten. Aber nur auf dem
Binnenmarkt. Denn noch vor der Sowjetunion liegen die Japaner in
der Weltwerkzeugmaschinen-Statistik an dritter Stelle. Wie sich das
auf unsere Betriebe auswirkt, wird am bundesdeutschen Exportanteil
von über 60 % deutlich. Der Trend geht dabei deutlich zu den elektronisch
gesteuerten Maschinen. Nun werden Sie sicher erraten können,
wer in diesem Metier die Nase vorn hat.
Auf Befragen geben Ihnen Industriebosse und Verbandsfunktionäre bereitwillig
darüber Auskunft, warum die Japaner denn so erfolgreich
operieren können. Da wird eben in der Herstellung kooperiert. Einer
macht die Steuerung in möglichst großen Stückzahlen. Das kann dann
billig auf den Markt und in den Export geworfen werden. Sicher spielt
dabei die staatliche Unterstützung oder meinetwegen auch Regulierung
eine Rolle. Wenn wir uns aber so viel auf unsere freie Marktwirtschaft
einbilden – die Förderungs- und Subventionsgier mancher Unternehmen
läßt bei mir etliche Zweifel hochkommen – , sollten wir aber auch
mit solchen Problemen fertig werden können. Das hieße wenigstens in
bestimmten Bereichen eine ausreichende Kooperation zwischen den
Unternehmen.
Es will mir unter solchen Voraussetzungen eben nicht in den Kopf, daß
jetzt zum Beispiel Bosch auch noch mit der Wechselrichterei für die
Asynchronmaschinen anfängt. Denen wäre doch bestimmt kein Zacken
aus der Krone gefallen, wenn die sich hier mit einem etablierten Hersteller
zusammengetan hätten. Viel wichtiger wäre es da schon gewesen,
etwas mehr Augenmerk auf die Einbeziehung der Drehmomentkontrolle
von Antriebsmotoren zur Fertigungs- und WerkzeugÜberwachung
zu legen. Wir sind da dran, heißt es dazu dann lapidar.
Dran ist auch der Professor Guttropf an der Fachhochschule Windisch
in der Schweiz. Um seine Robotertheorien in die Praxis umzusetzen – er will ja damit die dritte, unbemannte Schicht realisieren – braucht er
die Motorüberwachung als Sensor für die Maschinenbelastung. Lustig
ist dabei aber nicht gerade, daß er dafür ein amerikanisches Produkt
verwendet. Im Musterländle sitzt nämlich auch ein Hersteller solcher
Meßmimiken. Vielleicht klappt da die Musterländle-Kommunikation
nicht so recht. Damit wären wir bei den
Sensoren
Beim Roboterhersteller Asea in Schweden fehlen Sie ganz einfach.
Klein, billig und robust, damit das den harten Industriealltag aushält,
ist die Forderung. Dazu dann noch möglichst empfindlich bei großer
Ausgangsspannung.
„Das Spektrum seiner Sensoren, die mit dem klassischen Halbleiter Silizium
arbeiten, hat Siemens mit Fühlerelementen für die Temperatur
ergänzt“. So steht es in der Presse-Mitteilung Da kann ich nur „Bravo“
rufen. Falls das für Sie technisch neu ist. versuchen Sic halt Ihr
Glück bei diesem Hersteller und seiner „Innovation“.
„Temperaturfühler, Silizium-, B DH 0381.12 5 d“
• SCOPE-Nr. 14 ((Bild))
Die einschlägige Industrie in unserer Republik malt derweil schöne
Grafiken über die künftigen Marktanteile. Jeder erforscht alles, damit
der Förderungskuchen auch schön gleichmäßig verteilt wird. Die Institute,
unsere Intelligenz-Brutstätten basteln an der Lageerkennung
mit Fernsehkamera und Computer. Das soll dann die Krabbelkiste am
Anfang der Taktstraßen zwar nicht entbehrlich machen, aber den Menschen,
der die Teile entwirrt. Nachdenken, die Teile an der ersten
Maschine magazinieren, wäre hier sinnvoller und würde die engagierten
Köpfe für Brauchbares frei machen.
Ohne ein wirklich vernünftiges Programm an Sensoren wird die ganze
Steuerungs- und Regelungstechnik, die ja immer mehr zur Regelung
und damit zur Automatisierung tendiert, ein ziemlich totes Kind. Es
gibt zwar fast täglich Botschaften über den „großen Durchbruch“.
Fühlt man den Dingen auf den Zahn, ist es herkömmliche Technik mit
allen gehabten Malessen im neuen Gehäuse. Dazu kommt dann noch
die Vergeßlichkeit. Trotz Datenbanken, die ja das technische Wissen
Ziemlich robuste Knochen sind solche Magnetschalter mit eingebautem Hall-IC. Wahlweise
als Schließer oder Offner ausgeführt, liefert der Ausgangstransistor bis zu 300 mA.
.Magnetschalter mit Hall-IC“ • SCOPE-Nr. 17 ((Bild))
angeblich fein übersichtlich und zugänglich gespeichert haben, werden
oft die einfachsten Grundlagen der Physik nicht mehr umgesetzt.
Durch die elektronische Brille mit Computergestell sieht eben die technische
Umwelt nur noch wie Bits und Bytes aus.
Wenn es auch so klingt, es ist
nicht alles hoffnungslos
In den Labors und Werkstätten wird ja nicht gerade geschlafen. Es
stinkt mir aber ziemlich, daß soviel gutes Geld und die damit bezahlte
Arbeitskraft – manpower und Mann-Jahre sind ja die Ausdrücke dafür
– verpulvert wird, um dem Mitbewerber die Wurst von der Stulle zu
holen. Mit der entsprechenden Kapitaldecke und Marktmacht geht sowas
ja recht einfach. Es geht sogar ohne, wie Sie überdeutlich am Beispiel
der AEG-Telefunken sehen können.
Bernhard Siegmund
1981-05_ScopeS669ff_Magazin-Artikel_Industrieelle Steuer- und Regelungstechnik