Neu-Ulm, November 1980 (Elektronikanzeiger) – Mikroelektronik im Maschinenbau – unter dlesem Motto stand die Tagung im November in Neu-Ulm, die Ingenieuren aus dem Maschinenbau und der Automobilindustrie Begriffe, Strategien und Chancen des Einsatzesder Mikroelektronik in diesen Bereichen näherbringen sollte.Wie die Möglichkeiten der Mikroelektronik bisher genutzt werden, geht aus dem folgenden Gespräch hervor, das unser Münchener Redakteur mit Klaus P. Friebe, Geschäftsführer des VDI-Technologiezentrums in Berlin, führte.

 

Herr Friebe, Sie sind

Geschäftsführer des VDITechnologiezentrums mit

Sitz in Berlin, das größtenteils von BMFT und

zum kleineren Teil vom VDI finanziert wird. Eine

Aufgabe, die man sich gestellt hat ist. kleineren

und mittleren Firmen den Einstieg in die Mikroelektronik

zu erleichtern.

Das ist richtig, aber diese

Aufgabenstellung ist

nur ein Teilbereich

unsrer Arbeil. Neben der Einführung

der Mikroelektronik in kleineren und

mittleren Unternehmen befassen

wir uns mit den phy-

sikalischen Technologien,

hier kommen vorwiegend die

großen Unternehmen zum Zuge, weil in

diesen Bereichen doch die

Forschungskapazitäten

notwendig sind, die kleinen

und mittleren Betrieben

nicht in diesem Maße

zur Verfügung stehen.

Nun, ich möchte meinen,

daß kleinen und mittelgroßen

Firmen im all gemeinen nicht die Finnen-

ziiellen Möglichkeiten zur

Verfügung stehen, sich

neue Technologien in eigener

Regie zuzulegen.

Das stimmt nicht ganz.

Es gibt eine ganze Reihe

von mittelständischen

Unternehmen, die finanziell

in der Lage sind, gerade

neue Technologien

einzuführen und ich glau- –

be, daß diese Unternehmen

im Wettbewerb gut

dastehen. Es ist nicht so,

daß die Großen die Tech- .

nologien machen, . das

stimmt nicht.

Es ist doch wohl auch

eine Frage der Finanzierbarkeit,

wie neue Technologien

angewendet und

eingesetzt werden können.

Es kann nicht jede

Firma aus eigener Kapitaldecke

große Investitionen

tätigen, wie sie doch

bei den Technologien, die

hier zur Debatte stehen,

nötig sind. Es ist die Unterstützung

einer Bank

oder eines sonstigen Institutes

notwendig.

Ja, es ist schon eine Ka-

pitalfrage, aber diese Frage

löst sich, wenn man

frühzeitig in eine neue

Technologie einsteigt.

Dann sind die Einstiegs-

kosten erheblich geringer.

Unser Problem ist ja nicht

das Kapital in erster Li-

nie, sondern der Zeit-

punkt des Einstiegs in

eine neue Technologie,

das ist wichtig.

Der richtige Zeitpunkt,

das ist das Stichwort zur

Überleitung zum Maschi-

neu bau. Ist der Einstieg in 

der breiten Anwendung 

der Mikroelektronik im 

Maschinenbau noch 

rechtzeitig erfolgt oder 

fast schon verspätet?

iEinige deutsche Unter-

nehmen haben schon

frühzeitig versucht, die

Mikroelektronik zu nut-

zen, aber ich glaube, mit

dem heutigen Nutzungs-

grad ist es soeben mög-

lich, im Wettbewerb zu

bestehen. Für den Wett

bewerb von morgen aller-

dings muß die Nutzung

der Mikroelektronik er

heblich intensiviert wer-

den, wenn wir ,,überleben“

wollen. In einer gewissen

Hinsicht sehe ich

dabei nicht so optimistisch

in die Zukunft, weil

uns einfach das Menschenpotential

fehlt. Der

Wille ist da, auch das Kapital

ist kein Problem. Es

fehlt uns einfach auf ganz

en Breite adäquates Personal,

das die Mikroelek-

tronik in diesen klassischen

Bereich Ma-

schinenbau hineintragen

kann. Es fehlen uns Mas-

chinenbauer, die die Mi-

kroelektronik verstehen,

das ist das Problem.

Soweit ich das übersehe,

haben klassisch aus-

gebildete Maschinenbau-

er gerade den Einstieg in

die Elektrik, – zum Teil

vielleicht in die Elektro-

nik geschafft und müssen

sich nun auf einen großen .

Sprung in die Mikroelek-

tronik vorbereiten. Das ‚

beinhaltet allerdings, daß

man nicht mehr hardwaremäßig

wie bei der

Zusammenstellung eines

Schaltplanes vorzugehen

hat, sondern Problemlö-

sungen auf Softwareebene

anzubieten hat. Hat das

ein Maschinenbauer zu

können?

Also, ich versuche das

immer so darzustellen,

daß die Maschinenbauer

in relativ geringem Maße

dazu erzogen wurden, ab-

strakt logisch zu denken.

Die Mikroelektronik ver-

langt eine sehr abstrakte

Logik, eine Denkweise.

die dem klassischen Ma-

schinenbauer von seinem

Verständnis der Techno-

logie her fremd ist. Er ist

mehr ein visuell-logischer

Denker, er kann sich im-

mer auf visuell erfaßbare

Gebilde wie Konstruktio

nen oder Strukturen zu-

rückziehen und hier nun

versagen seine Hilfsmit-

tel, seine Trainingsstruk-

turen. ja seine ganze Arbeitslebenszielsetzung

ist

hier gefährdet, weil er von

einer ganz anderen Warte

ausgeht.

Das ist richtig. Elektronik

oder auch Mikroelektronik

läßt sich nicht in

die Hand nehmen, die

Abläufe im Innern eines

Computers sind nicht

transparent währenddessen

die Konstruktion einer

Brücke beispielsweise

einem entsprechend geschulten

Mann sehr leicht

fällt, denn er verfügt über

das „Feeling“ und die Erfahrung,

an die Stellen

Verstrebungen anzubringen,

die zur Versteigung

der Konstruktion notwendig

sind. Diese Schritte

auf die Softwareebene zu

verlagern, das ist die Problematik.

Die Verständigung zwischen

diesen zwei Bereichen

und auch die Geschwindigkeit

der Veränderung,

das ist das Problem.

Meiner Ansicht

nach ist die Mechanik

oder die Feinmechanik

darum so in Bedrängnis

geraten, weil die Veränderungsrate

in der Mikroelektronik

wesentlich

rapider vonstatten geht,

auch der zeitliche Index

des Wissensverfalls ist erheblich

höher. Weil es

eine junge Technologie

ist, überschlagen sich die

Erkenntnisse. Jemand,

der die Mikroprozessoren

kannte und mit den

heutigen vergleicht, meint

in einer anderen Welt zu

leben.

Diese Ausage ist wohl

schon richtig, aber für die

Anwendung als solche

dürfte die Evolution, die

der Mikroprozessor erfährt,

nicht so maßgebend

sein.

Das ist doch wesentlich,

weil es heute durch

die Kombination von

Zentraleinheit oder Prozessor

mit Speichern

möglich ist, erheblich

mehr Funktionen in

Maschine hineinzupakken,

und damit wird der

effektive Arbeitsaufwand

minimiert. Ich kann

Funktionen, die ein Werkzeugmacher

heute hat,

einfach in die Maschine

„hineinpacken“. Man

kann erheblich genauer

arbeiten und auch Überwachungsroutinen

in die

Maschine integrieren, in

der Kombination mit anderen

Technologien wie

der Laser-Technologie ergeben

sich neue Möglichkeiten.

Das Problem ist,

daß diese Möglichkeiten

nicht erfaßt werden, man

will immer noch substituieren

und sucht nicht

nach neuen Produktlösungen.

Wie kann ich die

Mikroelektronik für meine

Aufgabe einsetzen, das

ist die Hauptfrage und

nicht die, wie ich um

die Mikroelektronik eine

Aufgabe lösen kann. Das

ist eine für deutsche Ingenieure

typische Denkrichtung.

Hängt das nicht, ich

möchte es mal so formulieren,

zum Teil von einer

gewissen Existenzangst

ab, daß also ihre berufliche

Existenz durch die

Mikroelektronik oder

durch moderne Technologien

allgemein, mit denen

man sich wahrscheinlich

nicht mehr so ganz

anfreunden kann, als

gefährdet erscheint?

Kommt der verzögerte

Einsatz der Mikroelektronik

nicht von der Basis?

Natürlich, das ist doch

ganz menschlich. Wenn

Sie es gewohnt sind, mit

einem geringen Energieaufwand

jahrelang etwas

zu lösen, und auf einmal

müssen Sie einen höheren

Energieaufwand treiben,

um das etwas anders zu

lösen, dann spüren Sie

das als einen Eingriff in

Ihre persönlichen Strukturen.

Aber das hilft uns

ja nichts, wir müssen diese

Schwelle überwinden.

Andere wenden Mikroelektronik

auch in

Maschinen an, die Amerikaner

oder Japaner beispielsweise.

Die Deutschen

sind aber, soweit

ich unterrichtet bin, auch

auf diesem Wege, zumindest

in den großen Unternehmen,

trotz der Hemmnisse,

die die Mikroelektronik

umgeben, umschrieben

mit dem Wort

„Jobkiller“, ein Ruf, der

in der letztenFrage bzw.

Antwort auch ein wenig

anklang.

Wir sollten uns von

dem Wort „Jobkiller“ lösen.

Ich glaube, die Mikroelektronik

vernichtet,

und das muß man auch

sagen, eindeutig Arbeitsplätze,

das ist keine Frage.

Sie schafft in dem

gleichen Maße auch wieder

Arbeitsplätze, bloß

andere, mit höheren

Qualifikationsansprüchen

Es nützt uns heute nichts,

einen Dreher auszubilden,

wir müssen Leute

ausbilden, die mit diesen

neuen Medien umgehen

können. Toleranzberechnungen

per Hand auszuführen

ist heute ökono-

misch nicht mehr tragbar.

Hier sehe ich das Problem,

das unser Ausbild-

ungssystem im Grunde

veraltet ist. Welcher Inge-

nieur bei uns ist es

gewohnt, sich nach Arbeits

schluß weiterzubilden. Es

gibt eine ganze Reihe von

Institutionen und Aus-

bildungsprogranmen.

Aus der ganzen Struktur

der Ausbildung her fühlt

sich der Ingenieur

bisher zu etwas Höherem,

berufen und sich nicht

mehr zur Weirerbildung

verpflichtet. Das geht

heute so nicht mehr, der

Wissensverfall verläuft

rapide, daß ein dauerendes

Umlernen notwendig ist.

Das ist sicherlich alles

richtig, aber es ist auch

eine menschliche Eigenschaft,

sich zunächst an

das zu klammern, was

man hat, auch als Ausbildungsgrad

und damit

zurecht zu kommen, so

lange es eben möglich i

Dann darf man ab

auch nicht weinen oder

protestieren, wenn man

von der Zeit überrollt

wird. Wir machen schon

seit 1975 Propaganda für

die Mikroelektronik, seit

der Zeit haben wir

Tagungen veranstaltet. Seit

unserer ersten Tagung hat

sich bis heute der Diskussionsstand

nicht verändert,

das Wissen in der

klassischen Form ist sogar

noch niveaumäßig

tiefer gesetzt worden. Im

Jahr J975 hat man auf

ner höheren Ebene diskutiert,

daß muß man sich

einmal überlegen. •

Die Fortsetzung dieses Interviews

erscheint in elektroanzeiger

Nr. 3.

1980-01_Elektronikanzeiger_Interview-kpf_Mikroelektronik im Maschinenbau